Wer kifft, riskiert mehr
Wie wirkt sich der Konsum von Cannabisprodukten auf die Performance und die Fehlerhäufigkeit bei der Arbeit aus? Dieser Frage gingen das Institut für Rechtsmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München und die Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie in einem Praxisversuch mit 16 Staplerfahrern nach. Auftraggeber war die Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW), Schwesterorganisation der BG Verkehr. Jeder Fahrer musste vier Aufgaben nüchtern und unter Cannabiseinfluss absolvieren. Gemessen wurden Fahrleistung, Fahrfehler und psychische Leistungsfähigkeit zu vier verschiedenen Zeitpunkten. Dazu wurden die Testfahrer zu subjektiven Einschätzungen wie Müdigkeit, Motivation oder erlebter Beanspruchung befragt.
Das erste überraschende Ergebnis: Das Bild vom antriebslosen Kiffer erhärtete sich in dieser Studie nicht. Im Gegenteil: Unter Cannabiseinfluss steigerte sich die Fahrleistung signifikant, wobei ein Teil der Verbesserung auch auf Übungseffekte zurückzuführen ist. Nicht so überraschend: Bei steigendem THC-Einfluss ging auch die Zahl der Fehler in die Höhe. Am höchsten war die mittlere Fehleranzahl eine Stunde nach dem Cannabiskonsum und ging bei den weiten Messungen nach drei und fünf Stunden langsam wieder zurück.
Fazit der Wissenschaftler: Individuelle Unterschiede (Motivation, subjektive Wirkung von Cannabis) und situative Faktoren (Müdigkeit, erlebte Beanspruchung) spielen eine größere Rolle als die THC-Konzentration. „Die Anwendung pauschaler THC-Grenzwerte ist unzureichend, da sie die tatsächliche Leistungsfähigkeit nur unbefriedigend abbilden und keine Dosis-Wirkungsbeziehung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit etabliert werden kann“, sagt Prof. Matthias Graw, Vorstand am Institut für Rechtsmedizin LMU München, der gemeinsam mit Prof. Dr. Wolfgang Fastenmeier von der Psychologischen Hochschule Berlin die Studie leitete. Der aktuell im Straßenverkehr geltende Grenzwert von 3,5 ng/ml THC sei eine rein politische Festlegung ohne wissenschaftliche Grundlage.
Konkrete Empfehlungen gibt die Studie für eine Wartezeit nach dem Cannabiskonsum bis zur Teilnahme an Arbeit und Verkehr. Hierbei sei es notwendig zwischen gelegentlichen und regelmäßigen Konsumenten zu unterscheiden. Gelegentliche Konsumenten sind laut Studie diejenigen, bei denen isolierter Konsum vorliegt und die nach dem Konsum eine Pause einlegen. „Wir empfehlen nach Konsum eine Wartezeit von einer Nacht, also 8 Stunden nicht zu unterschreiten“, sagt Verkehrsmediziner Graw. Ein Konsum vor oder während der Arbeit sei nicht zu tolerieren, da sicherheitsrelevante Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit zu erwarten sind, auch unter einer Konzentration unter 3,5 ng/ml THC.
Bei täglichem oder mehrfach täglichem Hochkonsum hält Graw eine Verkehrsteilnahme oder Arbeit in sicherheitskritischen Bereichen in der Regel grundsätzlich für ausgeschlossen. Diese solle erst nach einer längeren Abstinenz über mehrere Wochen wieder in Erwägung gezogen werden.
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